Ein Bericht von Frau B.G. (54 Jahre)
Frau BG ist Mitarbeiterin der Gemeinde Passail. Sie fällt in die Coronavirus-Risikogruppe und wurde daher dienstfrei gestellt. Frau BG hat nun ihre Gedanken zu Corona in einem Text verfasst.
Danke für Ihren Bericht und alles Gute.
Ihre Petra

„Neuartiges Virus in China…“
Ich glaube nicht, dass diese und ähnliche Überschriften im Dezember vergangenen Jahres für Menschen in Europa / Österreich / Steiermark / Passail mehr als eine Randnotiz bedeutet haben.
Wie rasch sich das geändert hat! Wobei: die ersten Fälle in Italien oder die beiden Italiener in Tirol haben mich noch nicht wirklich vom Stuhl gerissen.
Es war Anfang März 2020, als – vermutlich nicht nur – mein Augenmerk verstärkt auf „das neue Virus“ (-auch der Virus gilt lt. Duden als korrekt-) gelenkt wurde.
Aber alles halb so wild:
- Beim Niesen verwende ich eh immer ein Taschentuch,
- Man hustet in die Ellenbeuge
- Noch öfters Hände waschen, auch kein Problem
- Abstand zu den Mitmenschen halten – ein bisserl schwieriger aber machbar
… bleibt alles in allem also ziemlich normal. Was für ein Irrtum!
Gegen Ende der 2. Märzwoche wird mir bewusst gemacht, dass ich aufgrund von (Vor-) Erkrankungen einer sogenannten Risikogruppe angehöre. Bewusst GEMACHT in Form einer schriftlichen Nachricht der Gemeinde als Dienstgeber mit der Anweisung zuhause zu bleiben, da ich ab sofort dienstfrei gestellt sei. Ich glaube, damit war ich in unseren Breiten bei den ersten, denn von übergeordneten Stellen (Bund, Land) waren zu diesem Zeitpunkt noch keine Maßnahmen bekannt. Mitarbeiterschutz ziemlich express, sozusagen. Zur selben Zeit arbeitete die Gemeindeführung bereits intensiv an Maßnahmen; Zivilschutz und Krisenstab wurden aktiviert.
In den folgenden Tagen kam es für mich wie es kommen musste: (zu viel) Zeit zum Grübeln gepaart mit fast ununterbrochener Berichterstattung in sämtlichen Medien, sich regelrecht überschlagende Ereignisse und mein -immer schon dagewesenes- Bedürfnis informiert zu sein.
Diese Melange versetzte mich in einen Zustand, mit dem ich in dieser Intensität nicht vertraut war. Nicht, dass ich mir um mich Sorgen gemacht hätte, jedoch rotierte es in meinem Kopf 18 bis 20 Stunden am Tag (den Rest hab ich Gott sei Dank verschlafen). Meine Aufmerksamkeit von den medialen Anlieferungen ziemlich absorbiert, galten meine Gedanken in erster Linie meiner Familie und guten Freund*innen (unter denen es bereits 2 bestätigte Fälle gab), zudem versuchte ich, die gesundheitliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und auch politische Dimension zu erfassen – ein Ding der Unmöglichkeit…
Mittlerweile achte ich darauf, seriös und ausreichend informiert zu sein. Tageszeitung, die Nachrichten am Abend und einige ausgewählte (auch internationale) Nachrichtenportale reichen völlig, um auf dem Laufenden zu sein. Und natürlich die Online – Neuigkeiten aus der Gemeindestube, welche über tagesaktuelle Entwicklungen in unserer Gemeinde und über regionale Maßnahmen informieren.
Inzwischen ist es – wie wir alle wissen – mit ein paar Hygienemaßnahmen natürlich längst nicht mehr getan.
Die Diskussionen über die verhängten Maßnahmen – zu früh? zu spät? zu hart? zu viel? zu wenig?… konnte und kann ich mit Ausnahme des Tiroler (hoffentlich Einzel-) Falles nicht nachvollziehen. Um unser aller und unser hervorragenden Gesundheitssystems Willen, um das wir von sehr vielen anderen Ländern beneidet werden, denke ich: besser zu früh als zu spät, besser etwas härter als zu lasch…
Dennoch wird dieses Covid-19 unzählige Erkrankungen verursachen und zu Todesfällen führen. Auch wenn die Menschen ab 65 Jahren immer wieder als Hauptrisikogruppe genannt werden – in Österreich finden sich die meisten Infizierten in der Gruppe der 45 – 55 Jährigen. (www.info.gesundheitsministerium.at, vom 23.03.2020).
Nein, sicher fühlen darf sich niemand!
Und das führt meine Gedanken zur Vermutung, dass es – trotz allgemein guter Versorgungslage – etliche geistig Unterversorgte zu geben scheint. Dieses Gefühls kann ich mich nicht erwehren, wenn ich sehe, höre, lese, wie ignorant und verantwortungslos ein (- wenn auch kleiner Teil -) der Bevölkerung mit der Gefahrenlage umgeht. Es geht nicht nur um die „ alten und kranken Leute“! Es geht genauso um unser gesamtes Gesundheitssystem, um die Grundversorgung jedes einzelnen und darum, wie es uns in den nächsten Jahren wirtschaftlich ergehen wird. Je schlimmer wir es jetzt zulassen, desto mühsamer werden die nächsten Jahre werden – für jeden von uns! Vergessen wir doch einmal unsere Freiheitsrechte und Spassgesellschaft, lassen wir unseren Egoismus einmal beiseite und üben wir uns in Selbstbeschränkung! Nur wenn wir uns strikt an die in dieser Zeit geltenden Regeln halten, besteht die Aussicht auf Verbesserung.
Denn im Hinblick auf die Kapazitäten in Spitälern macht es einen wesentlichen Unterschied, in welchem Zeitraum (prognostizierte) ca. 70% der Bevölkerung an diesem Virus erkranken. Und es macht einen noch größeren Unterschied, ob die Sterblichkeitsrate bei 0,4% (wie derzeit in Österreich) liegt oder bei über 9% (Italien). Freilich kommen in verschiedenen Ländern auch unterschiedliche Faktoren zum Tragen (Alter der Bevölkerung, soziale Bedingungen). Weltweit betrachtet beträgt die sog. Mortalität 4 – 4,3%. Warum? Die Rechnung erscheint mir gar nicht so kompliziert: wenn 5% der Fälle eine Intensivpflege erfordern und diese bei weitem nicht verfügbar ist, weil kein Krankenhaus auf der Welt auf so viel Intensivpatienten vorbereitet ist, sterben sehr viele davon. Bei uns können wir, wie ich meine, aufgrund der frühen und umfassenden Maßnahmen, bei den Todesopfern noch in 1/10 Prozent rechnen. Da kommen übrigens noch alle anderen Krankheits- und Unfälle dazu, die nicht mit dem Coronavirus in Verbindung stehen (- sind das dann Kollateralschäden, oder was?).
Deshalb ist der Faktor Zeit so entscheidend. Zeit, um Kapazitäten bei Geräten, Schutzausrüstung und Gesundheitspersonal aufzubauen. Zeit für Wissenschaft und Forschung, das Virus besser zu verstehen zu lernen, um Behandlungsmöglichkeiten zu schaffen. Das häufig bemühte Zitat „ Zeit schenken“ bekommt damit plötzlich eine andere Bedeutung:
Schenken wir Zeit JETZT – nämlich allen (Schutz-) Maßnahmen, die getroffen wurden oder noch werden, um in einigen Wochen mehr zu wissen und besser gerüstet zu sein!
Verunsicherung, Existenzängste, finanzielle und unzählige praktische Probleme lassen sich dabei natürlich nicht wegdiskutieren. Sie begleiten sehr viele von uns durch diese unbestritten herausfordernde Zeit. Umso bemerkenswerter, dass sich so viele Gruppen und Initiativen formiert haben, die alle ein Ziel haben: diese für viele Menschen schwierige Zeit erträglicher zu machen, zu helfen, zusammenzuhalten. Diese Besinnung auf das Gemeinschaftsgefühl nehme ich als etwas unglaublich Schönes, Wertvolles wahr und zeigt uns vielleicht, dass Krisenbewältigung durch solidarisches Verhalten möglich sein kann.
Wir werden uns wundern, dass die sozialen Verzichte,
die wir leisten mussten, selten zu Einsamkeit führten.
Paradoxerweise erzeugte die körperliche Distanz,
die das Virus erzwang, neue Nähe.
(M. Horx)
Worüber wir uns in der Zukunft vielleicht wundern werden, wenn wir dann das Heute betrachten, darüber sinniert der Autor und Zukunftsforscher Matthias Horx aus gegebenem Anlass auf www.horx.com